11. November 2021 - 18. November 2021
ONLY THE HEADS SURVIVE
zu Felix Stöckle @ lokal-int, 11.11.21
Text: Anja Delz
Ein paar junge Kerle, der Frontallappen noch nicht ausgewachsen1, sitzen um ein Feuer im vietnamesischen Wald bei schwachem Schein. Sie sind dieselben, die heute an einem Bier nippen im lokal-int, international zone. Chri steht auf, hebt seine Flasche: Man solle sich mehr Geschichten erzählen! Werden Tiger im Dschungel von Schüssen angelockt, weil sie auf einen Kadaver hoffen? Chri sagt: Das stimmt nicht. Felix sagt: Das stimmt.2 Jim Morrison sagt: This is the end. Die Männer verstehen nicht: Sollen sie töten oder ein Werk an die Wand hängen? Ein Soldat wirft den Gewehrlauf in den regenweichen Schlamm, er drückt ihn mit dem Fuss nach unten. Den Abdruck will er morgen in der Sonne trocknen, damit er ihm erhalten bleibt. Der Lurp3 sagt: Das wird nichts, zu viel Feuchtigkeit. Du wirst schwitzen und der Boden dampfen. Die Flasche ist leer, er dreht sie am Hals um und sprüht die letzten Tropfen ins Feuer, es leckt daran.
Der Vietnamkrieg wird als der erste postmoderne Krieg verstanden, Auslöser für Revolten in den 1960er-Jahren und die Geburtsstunde eines neuen Bewusstseins und der Theorien, die im westlich-intellektuellen Kanon diesen Zustand nach der Moderne zu definieren versuchten. Jean-François Lyotard prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der Metanarrative; seit der Aufklärung versuche die westliche Welt den Kurs der Geschichte unter grossen Über-Erzählungen zu subsumieren und auf ein uniformes Ziel hin zu auszurichten.
Faschistische politische Systeme, Heils-Begriffe & Theorien, die sich einem rationalen, uniformen Fortschrittsglauben verschreiben, werden von postmodernen Denker:innen hinterfragt. Eine weitere prominente Position nahm Foucault mit der Diskursanalyse ein; er zeigte auf, wie Macht und hierarchische Systeme die Diskurse einer Gesellschaft und damit ebendiese prägten. Im postmodernen Zeitalter wird der übergeordnete Wahrheitsbegriff von vielstimmigen Guerilladiskursen abgelöst.4 Der Kampf der Vietnamesen gegen die amerikanische Intervention wird zum Spiegel – und zur Projektionsfläche – für westliche counter culture, die sich selber skeptisch hinterfragt.
Warum schreibe ich das? Die Amerikaner brachten ihre Kompanien nach Vietnam und führten sie wie Unternehmen, der body count war die Masseinheit ihres Erfolgs.5 Spezialeinheiten wie die Tiger Force, auf die sich Felix Stöckle in seinen gebrannten Kachelarbeiten bezieht, begingen brutalste Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. Hinter den emotiven Tier- und Waffenfiguren steht ein Töten, das zum Selbstzweck wurde in der kulturellen Überlagerung des fiebrig-übersättigten Hotpots. Mit der US-Armee und den vielen jungen Männern, die, knapp der Kinderstube entwachsen, zu ihren Einsätzen eingezogen wurden, brachten sie auch die amerikanische Massenkultur mit: importierten Rock, Diners, angefeuerte Prostitution und Nachrichten von zuhause auf dem Bildschirm in der Baracke. Soldaten gravierten Zippo-Feuerzeuge mit Botschaften; Endzeit-Poesie, Gedenkschriften, Flüche und Pin-Up-Figuren reihen sich ebenbürtig in diese Taschen-Chronik. Symbole, die sich fliessend zwischen Angst und Sarkasmus bewegten. Felix Stöckle füllt sie mit lokalen Referenzen, bringt die Suche nach Identität, Individualität und Zugehörigkeit hierher. Die Zippos schafften für die Soldaten eine Ausdrucksform, die ungefiltert ihre Einflussströme wiedergab. Die postmoderne Kunst wollte gleichermassen eine Schleuse aufmachen, die Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur verwischen. Die neu gefundene Skepsis gegenüber bürgerlichen Narrativen setzte sich über deren kulturelle Hegemonie hinweg, der Kunstbegriff wurde erweitert zu einem eklektischen Zitate-Potpourri. So wächst der Dschungel in den Lithografien auch im Geraniumkübel, denn: die